Zur Situation
Kinder psychisch kranker Eltern finden zu Recht in den letzten Jahren mehr Beachtung in der Fachöffentlichkeit, denn
- Sie sind eine große Gruppe: betroffen ist nach neueren Berechnungen ca. jedes 4. Kind.
- Sie stellen eine Risikogruppe im Hinblick auf eine spätere psychische Erkrankung dar: ca. ein Drittel von ihnen kann vorübergehend, ein Drittel dauerhaft psychisch erkranken, ein Drittel bleibt gesund. Frühe Unterstützung erhöht die Chance, dass sie gesund bleiben.
- Zusätzlich wachsen sie unter einer hohen psychosozialen Belastung auf, die teils mit den unmittelbaren Auswirkungen der Krankheit, teils mit ihren mittelbaren Folgen für die allgemeinen Lebensbedingungen zusammenhängt.
Dies alles ist lange nicht wahrgenommen worden, denn
- Psychische Erkrankungen sind nach wie vor ein Tabu-Thema, dem mit Vorurteilen in der Öffentlichkeit, mit Scham bei den Betroffenen und ihren Angehörigen begegnet wird;
- Die für die Unterstützung der Familien zuständigen Stellen gehören unterschiedlichen Hilfesystemen an. Die für die kranken Eltern zuständigen Einrichtungen des Gesundheitswesens fühlen sich für die Kinder nicht verantwortlich und wissen zu wenig von ihren Nöten. Umgekehrt sind Einrichtungen der Jugendhilfe nicht auf psychisch kranke Eltern eingestellt und mit der Einschätzung der Situation in den Familien überfordert.
Forschungsergebnisse zu diesen „Risikokindern“ legen nahe, dass die unspezifischen Belastungen, mehr als die jeweiligen elterlichen Diagnosen, sowie Schweregrad und Chronizität der elterlichen Krankheit es sind, die das Erkrankungsrisiko bedingen. Im Vulnerabilitäts-Stress-Modell zu psychischen Krankheiten ist es die psychosoziale Belastung, die eine z. B. genetisch bedingte Vulnerabilität (Verletzbarkeit, Anfälligkeit) so verstärkt, dass die Krankheit zum Ausbruch kommt.
Spätere Krankheit oder Gesundheit der Kinder psychisch kranker Eltern sind also nicht quasi schicksalhaft vorherbestimmt, sondern es gibt durchaus Möglichkeiten, einer Erkrankung vorzubeugen. Präventive Projekte bemühen sich, das allgemeine psychosoziale Risiko so gering wie möglich zu halten und die Kinder in ihren Bewältigungsmöglichkeiten zu stärken. Prävention setzt also an den Ressourcen, den schützenden Faktoren an.